Aktuelle Empfehlungen nach Stammzelltransplantation und während einer Hochdosis-Chemotherapie
Eine strenge keimarme bzw. neutropene Ernährung ist laut zahlreichen Fachgesellschaften und dem Robert Koch Institut (RKI) nicht mehr empfehlenswert. Größere wissenschaftliche Analysen zeigen, dass eine keimarme Ernährung die Rate an Infektionen nicht vermindert und somit gegenüber Basismaßnahmen bei der Lebensmittel- und Küchenhygiene keine Vorteile bringt.
Vielmehr bringt die keimarme Ernährung Risiken mit sich. Durch die starke Einschränkung der Lebensmittelauswahl kann es zu einer Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen und Energie kommen. Die Gefahr einer Mangelernährung ist also größer als das Risiko einer Lebensmittelinfektion.
Das Robert Koch-Institut rät deshalb seit 2021 von der keimarmen Ernährung für immunsupprimierte Patienten explizit ab, weist aber auf die Einhaltung von Küchenhygiene im Umgang und bei der Verarbeitung von Lebensmitteln hin und gibt orientierende Hinweise zur Vermeidung von nahrungsmittelassoziierten Erkrankungen (z.B. nur durchgegartes Fleisch, mind. pasteurisierte Milchprodukte).
Was soll ich tun, um das Risiko für Lebensmittelinfektionen gering zu halten?
Es ist jedoch unbedingt notwendig, auf eine gute Basishygiene im Umgang und bei der Verarbeitung von Lebensmitteln zu achten. Zudem sollten bestimmte Lebensmittel gemieden werden, die Wechselwirkungen mit Medikamenten verursachen können, oder solche, die mit gefährlichen Keimen belastet sein können, wie z.B. unzureichend erhitztes Geflügel und Eier (Salmonellen), Rohmilch und Rohmilchprodukte (Listerien) oder probiotische Milchprodukte, rohe Keimlinge und Sprossen (Pilze). Es dürfen dürfen keine schimmeligen, übelriechenden oder fauligen Lebensmittel verzehrt werden.
Die aktuellen Empfehlungen zur allgemeinen Lebensmittel- und Küchenhygiene haben wir HIER für Sie zusammengefasst. Erkundigen Sie sich am besten auch bei Ihrem Behandlungsteam über die Möglichkeit einer Ernährungsberatung. Diese kann auch zum Thema Hygienemaßnahmen – vom Einkauf bis hin zum Verzehr von Lebensmitteln und Speisen – schulen und individuelle Fragen rund um das Thema Ernährung klären. Falls es keine Möglichkeit für eine Beratung geben sollte, können Sie sich gerne HIER an unsere Fernbegleitung wenden.
Hintergrund
Bei einer Stammzelltransplantation und der vorbereitenden Hochdosis-Chemotherapie wird die Funktion des Immunsystems unterdrückt, wodurch das Risiko für eine Lebensmittelinfektion erhöht ist. Um das Risiko zu minimieren, wurde den Patient:innen seit den 1980er-Jahren eine sogenannte keimarme Kost empfohlen, wodurch die Lebensmittelauswahl extrem eingeschränkt wurde. Die Anwendung einer keimarmen Ernährung erschien plausibel, zumal Infektionen bei Betroffenen zu schweren Komplikationen führen können. Die wissenschaftliche Grundlage, ob durch die Einhaltung einer keimarmen Ernährung auch Infektionen verhindert werden können, fehlte jedoch.
Nutzen oder Risiko?
Aktuelle wissenschaftliche Analysen zeigen, dass eine keimarme Ernährung die Rate an Infektionen tatsächlich nicht vermindert und somit gegenüber Basismaßnahmen bei der Lebensmittel- und Küchenhygiene keine Vorteile bringt. Vielmehr bringt die keimarme Ernährung sogar Risiken mit sich. Insbesondere könnte durch die Einschränkung der Lebensmittelauswahl die Versorgung mit wichtigen Nährstoffen vermindert werden. Die Lebensmittelauswahl ist bei sehr vielen Betroffenen ohnehin aufgrund zahlreicher, möglicher Therapienebenwirkungen (u.a. Entzündungen der (Mund-) Schleimhaut, Durchfälle, Übelkeit) limitiert, wodurch weitere Einschränkungen nur sehr bedacht erfolgen sollten. Neben einer eingeschränkten Lebensmittelauswahl kann die keimarme Ernährung auch mit einer aufwändigen Zubereitung verbunden sein und optische und geschmackliche Einbußen mit sich bringen. Strikte Ernährungsrichtlinien können die Lebensqualität der Betroffenen einschränken und das Risiko einer Mangelernährung erhöhen. Einem Mangel an Nährstoffen sollte unbedingt entgegengewirkt werden, da sich dieser ungünstig auf den Krankheitsverlauf und die Verträglichkeit der Therapien auswirken kann.
Warum wurde mir dennoch eine keimarme Ernährung empfohlen?
In vielen Krankenhäusern sind die Empfehlungen zur keimarmen Ernährung bei PatientInnen unter einer Hochdosis-Chemotherapie und nach einer Stammzelltransplantation nach wie vor sehr verbreitet. Es gibt bisher keine einheitlichen und detaillierten Leitlinien, wodurch die Empfehlungen in den Krankenhäusern schwanken können. Verständlicherweise möchte Ihr medizinisches Behandlungsteam alle möglichen Infektionsquellen eliminieren, um Sie zu schützen. Etablierte Standards zu verändern, kann eine große Herausforderung darstellen und mit Unsicherheit verbunden sein. Aus diesem Grund werden oftmals lieber zu viele als zu wenige Einschränkungen vorgegeben. Halten Sie nochmal Rücksprache mit Ihrem behandelnden Arzt, falls Sie bezüglich der Empfehlungen, die Sie erhalten haben, verunsichert sind. Sprechen Sie auch unbedingt an, falls Sie aufgrund der Einschränkungen Gewicht verlieren oder Sie sich dadurch belastet fühlen. Erkundigen Sie sich gezielt nach individuellen Gründen für eine keimarme Ernährung und wann diese wieder gelockert werden kann. Sollten Sie aufgrund der Einschränkungen an Gewicht verlieren, empfehlen wir Ihnen dringend die Rücksprache mit Ihrem Behandlungsteam.
Welche Ernährungsempfehlungen sollte ich sonst noch beachten?
Versuchen Sie, ausreichend Nahrung aufzunehmen und Ihr Körpergewicht stabil zu halten. Eine gute Versorgung mit Energie und Nährstoffe gibt Ihnen Kraft und ist notwendig für eine gute körperliche Verfassung. Eine Mangelernährung kann die Nebenwirkungen Ihrer Therapie verstärken, Komplikationen herbeiführen und die Funktion Ihres Immunsystems beeinträchtigen.
Falls Sie Beschwerden, wie z.B. Durchfall, Übelkeit, Entzündungen im Mundbereich haben, oder ungewollt Gewicht verlieren, finden Sie auf unserer Website ausführliche Ernährungsinformationen.
Verzehren Sie keine Grapefruit oder Grapefruitsaft, wenn Sie Immunsuppressiva (Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken) einnehmen. Bestimmte Inhaltsstoffe in der Grapefruit (Furanocumarine) können den Spiegel von diversen Medikamenten zur Unterdrückung der Immunabwehr verändern.
Was versteht man unter einer keimarmen Ernährung?
Nach der Definition des Robert Koch-Instituts (RKI) ist eine keimarme Ernährung eine explizite Vermeidung jeglicher Nahrungsmittel, die Infektionen bei immunsupprimierten Patienten auslösen können. Bei einer keimarmen oder auch neutropenen Ernährung werden also zahlreiche Lebensmittel vom Speiseplan gestrichen. Es dürfen nur gekochte oder gegarte Lebensmittel verzehrt werden, oder Obst und Gemüse, das geschält werden kann. Rohe oder unzureichend erhitztes Fleisch, Fisch, Eier, Milch- und Milchprodukte, sowie ungeschältes frisches Obst und Gemüse sowie Leitungswasser sind also tabu. Je nach Literatur gibt es Empfehlungen für weitere Lebensmittel, die gemieden werden sollten (z.B. Schimmelkäse, Weichkäse, Wurstaufschnitt, Nüsse, Gewürze, die nicht erhitzt wurden, rohe Getreideprodukte, Trockenobst, Bierhefe, Fast Food, oder Speisen, die außer Haus zubereitet wurden). Zudem müssen bei einer keimarmen Ernährung verpackte Lebensmittel und Getränke am Tag des Öffnens aufgebraucht werden und Konfitüren, Honig, Ketchup, Süßigkeiten als Einzelportion abgepackt sein. Auch die Zubereitung der Speisen und die Aufbewahrung muss unter größter Sorgfalt erfolgen und ist mit einem erhöhten Aufwand verbunden.
Quellen
1. Schmidt L., Erickson N.T., Reudelsterz C., von Grundherr J., Rubin D., Lambeck A., Köpcke U., Arends J., Hübner J. for the German Cancer Society, Working Group Prevention and Integrative Oncology (PRIO); German Society for Hematology and Medical Oncology, Working Group Nutrition, Metabolism, Exercise; German Association of Dietitians; and the Professional Association of Oecotrophologists: Neutropenic diet during high dose therapy: a risk for patients. Ernahrungs Umschau 2022; 69(3): 24–9.
2. Muscaritoli M., Arends J., Bachmann P., et al. (2021). ESPEN practical guideline: Clinical Nutrition in cancer. Clinical Nutrition; 40(5): 2898–913 https://doi.org/10.1016/j.clnu.2021.02.005
3. Zürcher G., Arends J., Pirlich M. (2018). Tumorkachexie und Ernährungstherapie bei Krebserkrankungen. In Biesalski, H.K., Bischoff, S.C., Pirlich, M., Weimann, A. Ernährungsmedizin, Georg Thieme Verlag KG. http://dx.doi.org/ 10.1055/b-004-132260
4. The Committee oft he Haematology Subgroup oft he Oncology Group of the BDA (2021) Guidance – Safer eating with Neutropenia. https://www.bda.uk.com/uploads/assets/dc580f02-2a3f-400e-908cca4e91dffa63/Neutropenic-Diets-Guidance-Jan-2020.pdf [letzter Zugriff: 10.2022]
5. Onko-Internetportal. Ernährung nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSZT).
6. Robert Koch-Institut (RKI) (2021). Anforderungen an die Infektionsprävention bei der medizinischen Versorgung von immunsupprimierten Patienten: Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2021; 64(2): 232–64.
7. Arends J., Bertz H., Theurich S., von Grundherr J. (2018) Ernährung. Onkopedia: https://www.onkopedia.com/de/ayapedia/guidelines/ernaehrung/@@guideline/html/index.html [letzter Zugriff 10/2022]
8. N. Erickson, N. Schaller, A.P. Berling-Ernst, H. Bertz. Ernährungspraxis Onkologie, Schattauer GmbH, Stuttgart, 2017.
9. Kerschner B. (2016). Medikamenten-Überdosis durch Grapefruit. Medizin transparent. http://www.medizin-transparent.at/medikamenten-uberdosis-durch-grapefruit/ [letzter Zugriff 10/2022]
Autoren
Hauptautorin: Carina Eckhardt, Diätassistentin und Ernährungswissenschaftlerin, CCC München LMU
Unterstützt von Anne Blumers und Nina Szymanski, Was Essen bei Krebs