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Wie kann ein Logopäde bei einer Krebserkrankung helfen?

Interview mit Nerina Aupperle, Logopädin im Klinikum Stuttgart, Katharinenhospital seit 2015.

Frau Aupperle macht diesen Beruf, weil ihr die Arbeit mit Menschen am Herzen liegt und sie Sprache und Essen für elementar hält.

was-essen-bei-krebs.de (webk): Danke, dass Sie sich heute die Zeit für ein Interview mit uns genommen haben. Erklären Sie uns bitte vorweg was ein Logopäde macht?

Nerina Aupperle (NA): Logopäden sind die zuständigen Therapeuten bei Sprach-, Sprech-, Stimm-, Schluck- oder Hörbeeinträchtigungen. Sie arbeiten nach einer Heilmittelverordnung durch einen Arzt und gehören somit den medizinischen Fachberufen an.

Das Tätigkeitsfeld und die behandelte Altersgruppe sind groß und reichen von der Schlucktherapie bei Säuglingen, über die Sprach- und Sprechtherapie bei Kindern, die Stimmtherapie z.B. bei Stimmberufen wie Lehrern, bis hin zur Therapie nach Schlaganfällen oder während/nach Krebserkrankungen.

Doch nicht nur Therapie, auch Diagnostik, Beratung, Prävention, Forschung und Rehabilitation umfassen das Tätigkeitsfeld.

webk: Bei welchen Beschwerden während einer Krebserkrankung kann ein Logopäde helfen?

NA: Bei Schluck-, Sprech- und/oder Stimmproblemen durch Tumore im Hals-, Nasen-Ohrenbereich oder im Bereich des Kiefers, des Gesichts oder des Gehirns kann Logopädie helfen. Doch auch wenn es nach operativen Eingriffen oder während der Bestrahlung zu Sprech- oder Schluckbeschwerden kommt, kann der Logopäde unterstützen.

In der beratenden und therapeutischen Tätigkeit kann ein Logopäde passende Kostformen finden, die die tägliche Nahrungsaufnahme erleichtern oder bei Bedarf weiterführende Therapien in Form von künstlicher Ernährung empfehlen.

Doch auch Schluckmanöver oder individuell passende Muskelübungen übt er mit dem Patienten:

  • Übungen für die mimische Muskulatur bei Gesichtslähmungen,
  • Übungen für die Lippen nach Operationen oder bei Karzinomen in diesem Bereich,
  • Übungen für die Zunge bei/nach Karzinomen im Mundbereich oder auch bei Muskelabbau oder fehlender Kraft für erfolgreiches Schlucken. Die Zunge ist dabei für das Sprechen und das Schlucken von zentraler Bedeutung.
  • Übungen für das Gaumensegel bei/nach Karzinomen in diesem Bereich und der Folge, dass Nahrung durch die Nase läuft oder bestimmte Laute nicht gesprochen werden können,
  • Übungen für den Rachen bei Karzinomen in diesem Bereich, nach Operationen oder bei einer Schwäche der Muskulatur des Rachens,
  • Übungen für die Stimmlippen im Kehlkopf.  Beispiele wären Stimmprobleme aufgrund von Lähmungen im Bereich der Stimmlippen mit und ohne Verschlucken oder auch bei gut- oder bösartigen Veränderungen im Bereich des Kehlkopfs.
  • Nach Kehlkopfentfernung üben wir zudem mit dem Patienten über Ersatzstimmen wieder sprechen zu können.
  • Patienten mit Hirntumoren brauchen in dem Bereich Therapie, der durch den Hirntumor betroffen ist. Das kann vom Schlucken, über das Sprechen und die Stimme bis hin zur Sprache mit dem Auffinden passender Wörter reichen.
  • Brauchen Patienten infolge einer Tumorerkrankung ein Tracheostoma und eine Trachealkanüle, so hilft der Logopäde dabei, den Umgang mit der Kanüle zu beherrschen und übt, je nach Grunderkrankung mit dem Patienten, dass Schlucken und Sprechen wieder sicher gelingen.
  • Bei Nervenschädigungen infolge von Tumoren richtet sich der Schwerpunkt der logopädischen Therapie nach den Schwierigkeiten, die der Patient beim Sprechen, der Sprache oder dem Schlucken hat.

webk: Wie findet man einen Logopäden?

NA: Ich würde den Arzt meines Vertrauens oder Bekannte nach Empfehlungen fragen. Alternativ kann man in Suchmaschinen schauen, ob es in der Nähe eine logopädische Praxis oder eine Einrichtung mit einem ambulanten Therapieangebot gibt.

Im Krankenhaus wird die stationäre Therapie durch den zuständigen Arzt (Stationsarzt, Oberarzt, etc.) verordnet.

webk: Wie läuft eine Sitzung beim Logopäden ab?

NA: Zunächst wird in der Anamnese erfragt, welche Beschwerden, aber auch Ziele und Wünsche der Patient hat. Nach einer Diagnostik mit dem auf den Patienten zugeschnittenen Diagnostikmaterial beginnt die auf den Patienten ausgerichtete Therapie.

webk: Was genau macht der Logopäde mit dem Patient?

NA: Da das Tätigkeitsfeld so groß ist, kann man die Therapie nicht allgemein beschreiben. Vielleicht könnte man sagen: Der Logopäde unterstützt den Patienten dabei, sich selbst zu helfen.

Bei der Tätigkeit im stationären Umfeld mit Krebspatienten: Er zeigt ihm, welche Muskeln, wie trainiert werden sollten, er zeigt ihm Hilfsmittel auf, die den Alltag erleichtern. Er führt mit dem Patienten Übungen für Sprachbereiche durch, die betroffen sind. Er berät Patienten und Angehörige.

Der Logopäde verschreibt keine Medikamente, sondern zeigt dem Patienten, wie er seine Fähigkeiten erweitern oder zurückgewinnen kann. Auch zeigt er ihm, wie er fehlende oder eingeschränkte Funktionen kompensieren kann. Den Weg muss der Patient selbst gehen.

webk: Was wären Ihre/ Eure ersten Tipps an Patienten mit  Schluckbeschwerden?

NA: Ich würde zum Hals-, Nasen-Ohrenarzt gehen und diesen eine Diagnostik durchführen lassen. Wenn der Patient nach dem Schlucken gehäuft husten oder sich räuspern muss, so kann dies an einer Aspiration liegen. Das bedeutet, dass die Nahrung beim Schlucken nicht in die Speiseröhre, sondern in die Luftröhre wandert. Dies kann zu einer Lungenentzündung führen. Auf jeden Fall sollte die Nahrung dann ordentlich abgehustet werden. Der Husten ist sozusagen der Reinigungsmechanismus der Lunge. Passiert dies häufiger, ist das ein Warnzeichen und der Arzt sollte dringend konsultiert werden, der dann ggf. auch Logopädie verschreibt.

Je nach Grunderkrankung können verschiedenen Konsistenzen leichter geschluckt werden. Muss die Nahrung an einem Tumor oder Narbengewebe vorbeitransportiert werden, so kann flüssige, hochkalorische Nahrung eine Erleichterung sein. Ist die Muskulatur im Bereich der Zunge, des Rachens oder Kehlkopfes geschwächt, so ist passierte Kost oft am leichtesten zu schlucken, da die Fließgeschwindigkeit nicht so hoch ist.

Auch Haltungsänderungen können helfen, beispielsweise den Kopf zur Brust oder zur Seite zu neigen.

Dies kann allerdings nur ein kleiner Ausblick sein, der Logopäde findet die individuell passenden Hilfsmittel und ist daher durch ein Interview nicht ersetzbar.

webk: Was war Ihr bisher emotionalstes Erlebnis in Ihrem Beruf:

NA: Besonders emotional ist es, wenn Patienten nach einer Kehlkopfentfernung zum ersten Mal ihre Ersatzstimme anwenden und hören können. Nach einer Zeit des Schweigens endlich wieder sprechen zu können rührt Patienten und selbstverständlich auch uns mitunter zu Tränen.  Das ist auch der Fall, wenn Patienten nach einem Kanülenwechsel erstmals wieder ihre Stimme verwenden können und nicht mehr an die Schriftsprache gebunden sind, die eine geblockte Kanüle mit sich bringt.

Wir danken Nerina Aupperle, dem logopädischen Team und dem Klinikum Stuttgart für die Unerstützung, die Sie mit diesem Interview leisten.

Im Bereich Beschwerden lindern haben wir Hintergrundwissen, Tipps und praktische Empfehlungen zu Kau-und Schluckbeschwerden für Sie zusammengestellt: hier geht es zum Kapitel Kau-und Schluckbeschwerden