Diana Polekhina

Kommunizieren hilft

Benjamin Scharf (35) und seine Frau Lena Fiedler (28) haben sich mit uns über ihre Erfahrungen rund um das Thema Ernährung während der Chemotherapie und anderen Herausforderungen während einer Krebserkrankung unterhalten. Benjamin hat ein Klarzellsarkom, eine der seltensten und gleichzeitig leider agressivsten Tumorarten.

WEBK: Lieber Benjamin, liebe Lena, vielen Dank dass ihr beide euch heute die Zeit genommen habt mir ein bisschen von euren Erfahrungen rund um das Thema Ernährung während einer Chemotherapie zu sprechen. 

Was sind eure Erfahrungen zum Thema Chemotherapie?

Benjamin: Ich hatte 4 Zyklen a 3 Wochen Chemo. Die ersten Tage waren eigentlich immer am schwierigsten. Gerade beim ersten Mal war mir nach der ersten Infusion extrem übel und ich habe erbrochen. Dann habe ich die nächsten 4-5 Tage kaum etwas gegessen. Beim nächsten Zyklus habe ich dann weitere Medikamente gegen Übelkeit und Erbrechen bekommen und dann ging es mir viel besser.

Die Medikamente waren also das auschlaggebende für die bessere Verträglichkeit?

Benjamin: Ja, die Medikamente sollen im Hirn das Übelkeitsgefühl ausschalten und natürlich auch die Symptome in der Verdauung lindern. Das funktioniert vielleicht nicht 100%, aber schon gut. Bevor ich die Medikamente genommen habe, war das Gefühl ähnlich, wie bei einem starken Magen-Darm-Virus. Also wirklich elend. Da will und kann man einfach nicht essen und kaum trinken. Das ist mit Medikamenten schon viel besser. Man hat zwar immernoch ein flaues Gefühl und ich wollte eben auch nicht zu viel oder zu reichhaltig essen. Aber, wenn man das im Hinterkopf behält ist es ok.

Trotzdem war mein Appetit nicht so, wie sonst und ich war auch extrem vorsichtig. Wir haben es mit Suppen und Milchshakes probiert, also alles eher flüssig. Ähnlich eben, wie nach einer Magen-Darm-Erkrankung. Da fängt man ja auch erstmal langsam mit Schonkost an zu probieren, was man essen kann und will.

Schon 4-5 Tage nach der Chemo war zumindest bei mir dann alles wieder normal. Ich hatte dann sogar eher eine Phase in der ich mehr Hunger hatte als üblich. Einige Tage habe ich dann eigentlich nur gegessen.

Was würdest du aus deiner Erfahrung empfehlen?

Benjamin: Direkt vor und während der Chemo nur leichtes Essen und eher flüssig. Ich fand es auch besser wenn es nicht zu scharf und nicht zu würzig war.

Meine Tante hatte meinen Eltern vor meiner ersten Chemo Roulade mit Klößen mitgegeben. Ich fand das so nett und habe es gegessen. Das war keine gute Idee. Fettiges, deftiges Essen ist vermutlich direkt vor oder während der Chemo eher nicht empfehlenswert.

 

Abgesehen vom Essen, wie war die Zeit der Chemotherapie für euch beide? Könnt ihr uns die eine oder andere Situation schildern, die anderen vielleicht helfen könnte, eine ähnliche Situation zu umgehen oder zu meistern?

Benjamin: Wir beide können immer über alles reden. Das ist sehr wichtig.

Natürlich gibt es immer mal Situationen, die für den anderen irgendwie blöd sind. Zum Beispiel wollte ich, als es mir mal nicht so gut ging, eine Gemüsesuppe. Ich dachte, die könne ich gut essen. Aber als Lena sie dann gekocht hatte, ging es dann doch nicht. Ich glaube für einen Gesunden ist das schwer nachzuvollziehen. Aber der Kopf sagt dann einfach, du solltest das jetzt nicht essen. Wir versuchen dann einfach darüber zu reden und alles klar und deutlich auszusprechen.

Habt ihr euch auch mal Hilfe oder Unterstützung gesucht?

Benjamin: Ja, wir waren ein paar Mal in einer Psycho-onkologischen Praxis. Das hat auch nochmal geholfen, die Kommunikation besser und offener zu gestalten- Nochmal ein bisschen darüber zu reden, zu reflektieren und dem ganzen Raum zu geben.

Lena: Wir haben uns auch sehr bewusst damit auseinandergesetzt, was du essen kannst und auch, was du essen willst. Das war ganz am Anfang schwierig. Ich weiss noch, wie du am ersten Tag deines Chemozyklus meintest, du hättest gerne eine Süßkartoffelsuppe, also habe ich dir eine Süßkartoffelsuppe gemacht. Als die sie fertig war, meintest du: „ich hätte doch lieber eine Gemüsebrühe mit Nudeln.“ Also habe ich eine Gemüsebrühe mit Nudeln gemacht. Als sie fertig war, meintest du: “ich glaube, ich will doch lieber nichts essen.“ Am nächsten Tag hast du dir Kartoffelbrei gewünscht und als er fertig war, wolltest du den auch nicht mehr.

Das war schon frustrierend für mich.

Aber als wir dann später einfach nur Gemüsebrühe mit Nudeln an den ersten Tagen probiert haben, kam das auch nicht mehr vor. Und dank der Medikamente gab es in den weiteren Zyklen auch nicht mehr so starke Schwankungen.

 

Ich kann mir vorstellen, dass solche Situationen, wie von Lena beschrieben, auch für dich, Benjamin, nicht einfach waren? Hattest du das Gefühl dich doch überwinden zu müssen, weil du Lena sonst vor den Kopf stößt? Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es nicht nur rund um das Thema Essen, immer wieder zu solchen Situationen kommen kann.

 

Benjamin: Ich glaube, wenn es einem richtig schlecht geht, dann denkt man erstmal nicht an andere Leute. Aber klar habe ich die Situation schon auch als schwierig wahrgenommen und dann später versucht, mir vorher schon Gedanken zu machen, was ich essen kann.

Mir war auch wichtig schnell wieder eine gewisse Normalität herzustellen. Ich musste auch mal für mich sein. Und auch Lena und meine Eltern mussten wieder eine gewissen Normalität in ihrem Alltag herstellen. Ich wollte auch nicht ständig über Essen oder Magen-Darm-Probleme reden. Es ist wichtig aus der Schleife rauszukommen in der sich alles nur um Essen und Probleme damit dreht. Wir haben dann bewusst einfach andere Themen besprochen und versucht in den Alltag zurückzufinden.

Wenn man ständig gefragt wird „wie geht’s dir, wie geht’s dir? Hast du auch getrunken?“ ist das anstrengend. Ich habe mich manchmal gefühlt, wie ein Baby. Ich wollte das nicht, schließlich wollte ich schnell wieder selbstständig sein und zeigen, dass ich stark bin. Deshalb habe ich dann auch deutlich gesagt, jetzt lasst mich mal in Ruhe, das passt dann schon.

 

Wie war das für dich, Lena? Ist es als Angehöriger nicht auch schwer, seine Bedürfnisse helfen und unterstützen zu wollen, zurückzustellen?

 

Lena: Am schwierigsten war es wirklich am Anfang. Die ersten Tage des ersten Chemozyklus haben wir einfach total unterschätzt. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es Benjamin so schlecht geht. Da habe ich dann wirklich alle paar Minuten gefragt, wie es ihm geht oder was ich tun kann.

Ich habe ihn teilweise auch bevormundet. Ich hatte Zwieback gekauft, obwohl er das nicht wollte. Und den habe ich ihm dann einfach regelmäßig in die Hand gedrückt und darauf bestanden, dass er ihn isst. Schließlich hatte der Arzt gesagt, dass er auf keinen Fall Gewicht verlieren sollte. Außerdem habe ich beobachtet, wieviel er trinkt und mit Schrecken festgestellt, dass es viel zu wenig ist. Dann habe wir eine Strichliste geführt und sind damit wenigstens auf 1,5 Liter Wasser und Tee gekommen. Ansonsten war es aber ganz ok. Ich glaube ich war auch vorher gar nicht gemeint. Ich habe ja gesehen, wie es ihm ging und musste nicht nachfragen. Ich habe dann  irgendwann einfach jede Stunde ein volles Glas und einen Zwieback hingelegt.

Das Thema Mangelernährung ist bei einer Krebserkrankung und gerade in Verbindung mit einer Chemotherapie sehr wichtig. Habt ihr das Gefühl ihr seid in dieser Richtung genug informiert worden?

Benjamin: Wir haben schon mit dem Arzt darüber geredet, dass man bei einer Krebserkrankung einen erhöhten Kalorienbedarf hat. Es gibt ja auch Leute, die genauso weiteressen, wie vorher und trotzdem abnehmen, weil die schnell wachsenden Tumorzellen einfach mehr Energie brauchen.

Und dass mit einer Gewichtsabnahme während der Chemotherapie auch ein Verlust an Muskelmasse einhergeht und man dadurch schwächer wird, war mir auch klar. Das war jetzt kein ausführliches Gespräch, aber mir war das irgendwie auch klar.

Ich hatte zwar am Anfang meiner Erkrankung ein paar Kilo verloren und dann auch nochmals leicht, während der Chemo. Aber ich habe es nach der Chemotherapie geschafft auch wieder ein paar Kilogramm zuzulegen und mein Gewicht stabil zu halten.

Ich habe mich eher ausführlich zum Thema Sport informiert. Das war mir wichtig. Ich will eine gewisse Körperstärke und Ausdauer zurückgewinnen  Ich bin immer schon sehr sportlich gewesen. Wenn man sich danach fühlt, wird Sport zumindest in Maßen auch während der Chemotherapie empfohlen. Ich fühle mich auch wohler, wenn ich nicht so durchhänge. Auch das Allgemeinbefinden ist besser und ich bin nicht so müde, seit ich wieder Sport mache.

Du warst auch vor der Erkrankung schon sehr sportlich, oder?

Benjamin: Das ist vermutlich Ansichtssache. Ich habe Basketball im Verein gespielt. Ich war jetzt nie der muskulöseste oder schnellste im Team, aber schon trainiert. Am meisten hat meine Fitness eigentlich durch die OP nachgelassen, gar nicht durch die Chemotherapie. Hier in München an der Klinik kann man auch einen Fitnesstest während der Erkrankung machen. Dazu gehört auch ein Belastungs -EKG, weil die Chemotherapie auch aufs Herz gehen kann. Bei mir sah zum Glück alles gut aus und deshalb habe ich dann auch das OK von den Ärzten für Sport bekommen. Es ist aber auch einfach das Rauskommen an die frische Luft. Das ist einfach was anderes, als wenn man den Tag komplett auf dem Sofa verbringt, das macht noch müder. Natürlich muss man aber immer schauen, was geht und was man schafft. Ich muss zum Beispiel auch beim Muskeltraining aufpassen, wegen der OP Narbe. Das ist sicher sehr individuell.

 

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Eher leichte, vielleicht auch flüssige Kost vor und während der Chemozyklen, leichte sportliche Betätigung unterstützt das Wohlbefinden und Angehörige sollten sich eher etwas zurücknehmen und vielleicht lieber andere Sachen als Essen mitbringen. Ihr habt auch viel auf Smoothies vertraut, hattet ihr mir erzählt.

 

Lena: Nicht direkt Smoohties, das war Schokoproteinpulver mit einem Schuss Milch, weil Milch ja oft auch nicht so vertragen wird, und Apfel und Banane.

Was hättet ihr noch für Tipps?

Benjamin: Oft muss man die Ärzte ein bisschen löchern, wenn man Fragen hat. Und in den Praxen ist da sicherlich mehr Zeit, als in den Kliniken. Aber wenn man sich traut zu fragen, kommen eigentlich immer Antworten, Ideen und Anregungen.

Was würdest du Angehörigen gerne mitgeben?

Benjamin: Gute Frage… vielleicht dass die Chemo heute nicht mehr so ist, wie man sie aus Filmen kennt. Das ist zumindest bei jungen, fitten Menschen nicht mehr der Totalausfall mit ununterbrochenem Übergeben und Chemobrain. Heutzutage hat sich da so viel getan, dass es eigentlich eher so ist, wie ein Erkältung oder eine leichte Magen-Darm-Verstimmung. Also müssen die Angehörigen sich nicht so viele Sorgen machen und den Betroffenen nicht wie ein Kleinkind behandeln. Lieber die Person miteinbeziehen und einfach mal fragen, worauf hast du Lust, was willst du machen? Und auch lieber vorher fragen, wenn man etwas zu essen mitbringen will, ob das das Richtige ist.

Man kann ja zum Beispiel auch bei euch auf der Seite schauen, was man essen kann.

Grundsätzlich ist kommunizieren wichtig, auch als Betroffener, auch mit den Ärzten. Jede Chemotherapie ist anders und jeder reagiert anders. Da muss man dann auch mit den Medikamenten gegen die Nebenwirkungen schauen, zum Beispiel gibt es welche, die zwar die Übelkeit unterdrücken aber einen Adrenalinrausch verursachen. Das heißt man kann dann plötzlich nicht mehr richtig schlafen. Deshalb muss man einfach viel mit den Ärzten reden und probieren, was für einen passt. Mein Onkologe hat den guten Satz gesagt „nach spätestens 6 Dosen weiß der Patient besser Bescheid, als der Arzt.“ Also einfach alles notieren, was funktioniert oder nicht und da auch die Angehörigen mit einbinden. Uns haben auch die Strichlisten geholfen, gerade, wenn es mit dem Essen und Trinken mal nicht so läuft.

Lena: Ich würde auch sagen, dass Wichtigste ist einfach reden und vor allem nicht einfach über den Kopf der Person hinweg entscheiden. Ben wusste ja am besten, was ihm gut getan hat und was er wollte. Wir haben uns nach ein paar Tagen darauf verständigt, dass er einfach sagt, wenn er etwas Bestimmtes wollte oder auf etwas Besonderes Appetit hatte. Ich glaube es ist aber schon auch wichtig, dass man zeigt, dass man da ist, weil man helfen will und nicht nur, weil man muss. Aber man darf sich auch nicht aufdrängen. Wenn es einem eh nicht gut geht, ist die Laune nicht gut und wenn dann einer zum 5. mal die gleiche Frage stellt, ist das natürlich anstrengend.

Würdet ihr raten die Hilfe eines Psychoonkologen in Anspruch zu nehmen? Ich glaube es gibt viele Betroffene, die gar nicht wissen, dass es auf Onkologie spezialisierte Psychologen gibt.

 

Diese Krankheit hat so viele Aspekte, neben den genannten auch  die Todesangst, der Umgang mit der Krankheit und den Ängsten, die Krankheit und der Beruf. Oder, wie erkläre ich es zum Beispiel meinen Kollegen, wie kommuniziere ich die Krankheit allgemein?

Ich selbst lese sehr viel und frage nach. Aber trotzdem habe ich gemerkt dass die Krankheit einen an Grenzen bringt, auch im Umgang mit Angehörigen.

Ich hatte letztes Jahr einige Einzelsessions mit einem Psycho-Onkologen und jetzt hatten wir nochmal gemeinsame im Klinikum Großhadern. Das tut schon gut. Ist aber nicht leicht jemanden zu finden. Zum Glück gibt es hier in München viel Förderung und Netzwerke, die einen auch bei der Suche und Finanzierung unterstützen. Es ist schon gut, wenn jemand mit einem erfahrenen Blick draufschaut.

Man sollte einfach mal seinen Arzt darauf ansprechen, ob er jemanden empfehlen oder sogar einen Kontakt herstellen kann. Es dauert ja auch bis man dann einen Termin hat.

Mir hat es geholfen Dinge klarer zu sehen und gelassener auch an die Therapie heranzugehen. Ich würde es empfehlen.

Hättet ihr euch rund um das Thema Ernährung mehr Unterstützung gewünscht? Klar, ihr habt das auch so gut hinbekommen, aber hättet ihr euch auch mehr Aufklärung gewünscht?

Ich glaube es wäre gerade auf psychologischer Ebene ganz gut zu sagen, macht euch auf das und das gefasst. Natürlich hat es am Ende gut funktioniert, aber vielleicht auch einfach ein Hinweis, wo man Informationen herbekommt, wäre gut.

Benjamin ist am 09.01.2021 plötzlich und relativ unerwartet verstorben. Wir wünschen seiner Frau Lena und seinen Angehörigen und Freunden viel Kraft für die schwierige Zeit ohne ihn.

Fotocredit: Diana Polekhina

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Bewegung hilft bei Polyneuropathie

Interview mit Christian Bitzer, M.A. Sportwissenschaft

Über die Ernährung kann man eine Polyneuropathie leider nicht beeinflussen (lediglich auf Alkohol sollten Sie möglichst verzichten). Deshalb haben wir mit jemandem gesprochen, der viel Erfahrung in der Behandlung von Polyneuropathie mit Bewegung hat.

Christian Bitzer ist Sportwissenschaftler und Sporttherapeut (DVGS). Er forschte an der Universitätsklinik Freiburg zu Polyneuropathie und führt seit Jahren seine eigene Praxis in Albstadt und Tübingen, in der er mit verschiedenen neurologischen Erkrankungen und mit Krebspatienten arbeitet. Er ist einer der wenigen Experten für die Bewegungstherapie bei Polyneuropathie.

was-essen-bei-krebs.de: Lieber Herr Bitzer, können Sie uns zu Beginn kurz erklären, was man unter Polyneuropathie versteht?

Christian Bitzer: Polyneuropathie kommt bei Krebspatienten häufig als Nebenwirkung bestimmter Chemotherapien vor. Man spricht dann auch von Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie. Polyneuropathie ist eigentlich nichts anderes als Schäden in den Nerven. Diese Schäden stören die Verbindung zwischen dem Gehirn und den Extremitäten. Dadurch kommt es zu Schmerzen und Taubheit, Kribbeln und Missempfindungen. Je länger die Nerven sind, desto mehr werden sie beeinträchtigt, deshalb macht sich die Polyneuropathie zuerst in den Zehenspitzen bemerkbar und Füße und Hände sind besonders betroffen. Deshalb heißt sie präziser ausgedrückt auch periphere Polyneuropathie. Im Alltag kann das unter anderem zu Schwierigkeiten beim Gehen, zu Gleichgewichtsproblemen und zu einem erhöhten Sturzrisiko führen.

Man hört immer, gegen Polyneuropathie gibt es kein wirksames Medikament. Gibt es trotzdem etwas, das Betroffene tun können?

Das stimmt leider. Gegen Polyneuropathie gibt es noch kein Medikament, das weit genug erforscht ist, um standardmäßig verwendet zu werden. Doch Medikamente sind zum Glück nicht das einzige, was gegen Krankheiten helfen kann. Auch Bewegung ist bei bestimmten Beschwerden heilsam. So zeigen Studien, dass bei Nervenschäden gezielte Bewegung die beste Behandlungsmethode ist: die Taubheit in Händen und Füßen wird verringert, Gangunsicherheit und Sturzrisiko werden sichtbar, fühlbar und messbar reduziert.

Der Vorteil dabei ist, dass die richtige Bewegung im Gegensatz zu Medikamenten keine negativen Nebenwirkungen hat, sondern meistens noch weitere positive Effekte mit sich bringt: mehr Fitness, bessere Herzfunktion und mehr Wohlbefinden. Im Alltag heißt das: Man fühlt sich sicherer. Man traut sich mehr raus. Man ist fitter und hat mehr Energie. Und man fühlt sich gut, weil man selber etwas für sich tun kann – und hat auch noch Spaß dabei.

Wie können Bewegungsübungen überhaupt etwas bringen, wenn die Nerven kaputt sind?

Nehmen wir das Beispiel Gleichgewicht. Leider wissen die meisten nicht: Unser Gleichgewicht und unsere Sicherheit beim Gehen hängen nicht nur davon ab, was in den Füßen passiert bzw. welche Signale die Nerven aus den Füßen senden.. Es hängt genauso stark davon ab, wie gut das Gehirn diese Meldungen verarbeiten kann. Und genau diese wichtige Fähigkeit ist sehr gut und überraschend schnell trainierbar.

Was heißt das?

Das bedeutet: Wir selbst können unser Gehirn darin trainieren, aus weniger Signalen von den Nerven in Beinen und Händen eine bessere Bewegungssteuerung zu machen. Wir trainieren das Gehirn, aus weniger mehr zu machen.

Lindert die richtige Bewegung auch die Schmerzen?

Studienergebnisse zeigen: Es scheint tatsächlich so, dass durch das Training und die dadurch erzeugten Anpassungen im Gehirn auch die Schmerzen nachlassen und die Missempfindungen sich reduzieren. Am allerbesten scheint es zu sein, wenn Chemotherapie-Patienten bereits trainieren, bevor sich die ersten Symptome zeigen. Teilweise treten die Symptome dann auch gar nicht auf.

Muss man dafür viel trainieren? Ist das Training anstrengend?

Nein, ganz im Gegenteil! Und das hat einen einfachen Grund: Unser Gehirn ist bekanntermaßen das anpassungsfähigste Organ im menschlichen Körper. Wenn wir es richtig trainieren, dann können wir innerhalb kürzester Zeit große Trainingserfolge erzielen. Einen Muskel müssen wir wochenlang trainieren, bis wir einen sichtbaren Effekt erkennen können. Und wir müssen uns sehr schweißtreibend dabei anstrengen, wie wir das vom Sport oder vom Fitness-Studio her nur allzu gut kennen.

Beim Gehirn ist das anders?

Da ist es komplett anders. Das überrascht die meisten. Meine Polyneuropathie-Patientinnen und -Patienten wundern sich oft schon nach einer halben Stunde Bewegungstherapie über die sichtbaren und spürbaren Fortschritte. Und viele Patienten muss ich sogar immer wieder bremsen, damit sie auch mal Paus machen. Denn es handelt sich hier um lernen, nicht um Fitnesstraining und das funktioniert besser, wenn man körperlich nicht angestrengt ist. Deshalb ist die Bewegungstherapie so wirksam. Das Gehirn lernt extrem schnell – wenn man es richtig trainiert. Dabei fühlt man sich nicht nur subjektiv sicherer und . Die individuellen Fortschritte sind auch objektiv messbar mit Hilfe von geeigneten Tests, die ebenfalls zur Bewegungstherapie gehören. Damit können wir die Fortschritte schwarz auf weiß sichtbar machen. Wenn man sieht, wie schnell und weit man sich verbessert hat – das motiviert zusätzlich.

Das klingt vielversprechend. Wie läuft so eine Bewegungstherapie ab?

Das wichtigste ist, den richtigen Schwierigkeitsgrad für die Übungen herauszufinden. Dazu lasse ich mir die Krankheitsgeschichte ausführlich erzählen und mache dann Gleichgewichtstests. Diese sind aber eigentlich ganz einfach: man probiert Haltungen und Bewegungen aus, die sehr einfach anfangen und langsam schwieriger werden, bis man den Schwierigkeitsgrad gefunden hat, den der Patient gerade noch schafft. Und diese übt man dann. Der Trick ist wirklich, den richtigen Schwierigkeitsgrad zu finden. Sind die Übungen zu einfach nutzen sie nichts, sind sie zu schwer überlasten Sie den Patienten. Und das schöne ist: auch für sehr schwache Patienten findet man machbare Übungen, die man als Patient dann auch selbstständig durchführen kann, wenn kein Therapeut dabei ist. Zum selbstständigen Üben sollte man aber immer etwas zum Festhalten haben, auf absolut keinen Fall sollte man riskieren, bei diesen Übungen zu stürzen und sich zu verletzen.

Darf denn jeder immer üben?

Fast. Es gibt einige Gründe, nichts zu tun. Zum Beispiel in den ersten 24 Stunden nachdem man eine Chemotherapie bekommen hat sollte man das Training ruhen lassen. Auch wenn man an Schwindel oder Fieber leidet, oder sehr niedrige Blutplättchen hat muss man warten, bevor das Training weitergehen kann. Die meisten Patienten würden das in diesen Momenten aber ohnehin tun. Ein Gespräch mit Arzt oder Ärztin über das Training ist natürlich auch empfehlenswert.

Was empfehlen Sie Patienten, die keinen Therapeuten vor Ort finden?

Leider gibt es bisher nur wenige Therapeuten, die sich mit dem Thema auskennen. Wer Glück hat findet Angebote an der eigenen Klinik. Häufig kennen Fachärzte oder Pflegekräfte auch spezialisierte Therapeuten.
Weil es aber oft schwierig ist vor Ort einen Therapeuten zu finden, biete ich inzwischen telefonische Beratung an und erstelle auch Übungspläne für zu Hause.

Für die Gleichgewichtsübungen habe ich auch Beispiel-Videos erstellt. Diese lassen sich, wenn man ein paar Vorsichtsmaßnahmen beachtet, auch sicher und selbstständig zu Hause durchführen. Sie finden die Übungen hier: zu den Übungen.

Diese Bewegungen helfen übrigens nicht nur bei Polyneuropathie. Ein solches Training wird inzwischen von Leistungssportlern in allen Bereichen eingesetzt, aber auch Altersheime nutzen sie zur Sturzprophylaxe. Man kann also sagen: JEDER profitiert davon.

Studien zeigen außerdem: Je mehr und je gesünder man sich bewegt, desto größer sind auch Lebensqualität und Überlebenschancen bei Krebs. Die Lebensqualität ist auch deshalb größer, weil die richtige Bewegung alle möglichen Nebenwirkungen der Krebs-Erkrankung und -Therapie lindert. Krebspatienten fühlen sich mit dem richtigen Bewegungsprogramm nicht mehr so schwach. Sie fühlen sich stärker und sie werden auch objektiv stärker.

Wird so eine Sporttherapie eigentlich von den Krankenkassen bezahlt?

Da empfehle ich jedem, bei der eigenen Krankenkasse nachzufragen, oder sich beim Arzt zu erkundigen. Bei mir persönlich erhalten zumindest privat Versicherte die Kosten in aller Regel von der Krankenkasse erstattet. Wer das Glück hat, einen spezialisierten Physiotherapeuten in der Nähe zu haben, kann mit dem Arzt darüber sprechen, ob eine Physiotherapie verschrieben wird. 

Kontaktadresse für weitere Informationen:

Bitzer-Sporttherapie.de
bitzer.sporttherapie@gmail.com

Weiterführende Links zu Polyneuropathie:

Allgemeine Infos und Tipps zum Thema Bewegung bei Krebs:

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Sport als Therapieoption bei Fatigue

Interview mit Dr. med. Oliver Marschal

Dr. Marschal ist Facharzt für Innere Medizin, Schwerpunkt Onkologie, Ernährungsmedizin und Palliativmedizin und mit einer Onkologischen Schwerpunktpraxis in Braunschweig ansässig. Dort hat er auch ein Angebot zur Onkologischen Trainingstherapie (OTT) in Kooperation mit dem Injoy Braunschweig ins Leben gerufen. Das Programm wurde mit dem Förderpreis der Niedersächsischen Krebsgesellschaft 2018 ausgezeichnet.

Weitere Informationen:

Bower JE et al, (2002) Fatigue an proinflammatory cytokine activity in breast cancer survivors.  Psychosmomatic medicine 64(4):604-11

Cella D et al 2001 Cancer related fatigue: Prevalance of proposed diagnostic criteria in a United States sample of cancer survivors. J clin Oncol 18:743-753

Romero SAD et al. The association between fatigue and pain symptoms and decreased physical activity after cancer. Support Care Cancer 2018:26(10); 3423-30

Steindorf et al. Sport und Bewegung mit und nach Krebs – wer profitiert, was ist gesichert? TumorDiagn u Ther 2018; 143: 301-306

Steindorf et al. Lebensqualität, Fatigue und Schlafprobleme bei Pankreaskarzinompatienten – Eine randomisierte Studie zu den Effekten von Krafttraining. Dtsch Arztebl Int 2019; 116:471-8

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Was ist Fatigue? Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Interview mit Prof. Dr. med. Michael H. Schoenberg

Prof. Dr. med. Michael H. Schoenberg war lange Jahre Chefarzt der Chirurgischen Klinik und ärztlicher Direktor des Rotkreuzklinikums in München. Er engagiert sich sehr im Bereich Tumortherapie und Prävention durch Sport. Zu diesem Thema erschien 2016 sein Buch „Aktiv leben gegen Krebs“.

was-essen-bei-krebs.de (webk): Was genau versteht man unter Fatigue?

Prof. Dr. med. Michael H. Schoenberg: Fatigue ist ein Begriff aus dem Französischen und bedeutet Müdigkeit, Mattigkeit und ein andauerndes Gefühl der Erschöpfung. Ist dieser Zustand durch eine Krebserkrankung ausgelöst, spricht man von einer „krebsinduzierten Fatigue“.
David Cella, ein amerikanischer klinischer Psychologe, definierte diesen Zustand bereits im Jahr 1995 wie folgt: »Die Tumorerschöpfung, auch ›Fatigue‹ genannt, bedeutet eine außerordentliche Müdigkeit, mangelnde Energiereserven oder ein massiv erhöhtes Ruhebedürfnis, das absolut unverhältnismäßig zu vorangegangenen Aktivitäten ist.«

webk: Woran erkennt man eine Fatigue?

Schoenberg: Die Fatigue hat zunächst eine körperliche Dimension. Sie ist geprägt durch ein vermehrtes Bedürfnis nach Ruhe trotz ausreichender Erholungs- und Schlafphasen. Zu diesen körperlichen Beschwerden kommt noch eine seelische Komponente hinzu. Patienten mit Fatigue sind häufig antriebslos, schlecht zu motivieren und erscheinen depressiv. Eine Negativspirale setzt sich in Gang, die Probleme verstärken sich gegenseitig. Wer müde ist, bewegt sich naturgemäß weniger. (Muskel-)Schwäche und Mattigkeit nehmen zu und der Betroffene wird immer inaktiver und verharrt in einer Art »Schonhaltung«. Die Patienten sind häufig unkonzentriert und haben sogenannte Wortfindungsstörungen, also Schwierigkeiten, den passenden Ausdruck zu finden. Solche »Aussetzer« können den Betroffen verunsichern und zu einem sozialen Rückzug führen.

webk: Sie waren selbst bereits von Fatigue betroffen. Wie haben Sie sie erlebt?

Schoenberg: Während der Tumortherapie, oder nach Bestrahlung oder Chemotherapie, ist man plötzlich aber auch langanhaltend mit einer extremen Mattigkeit konfrontiert. Es ist als ob einem „der Stecker herausgezogen wurde“. Alles fällt einem schwer und auch wenn man vor der Erkrankung sportlich aktiv und fit war, hat man jetzt wirklich Angst ein Stockwerk nach oben zu gehen. Oben angekommen schnauft man, als wenn man eine anstrengende Bergtour hinter sich hat. So ist es mir während einer Chemotherapie ergangen und man fragt sich unwillkürlich, ob man nach erfolgreich überstandener Behandlung sein altes aktives Leben wiederaufnehmen kann.

webk: Ist es nicht normal, dass man von den Therapien erschöpft ist?

Schoenberg: Viele Patienten sind sich nicht bewusst, dass diese extreme Mattigkeit eine Erkrankung ist und eben nicht nur die unvermeidlichen Auswirkungen einer anstrengenden Krebstherapie, die man hinnehmen muss. Auch von vielen Ärzten wird das Krankheitsbild erst seit kurzem in ihrer ganzen Breite wahrgenommen – als häufige Beschwerden von Krebspatienten und -überlebenden.

webk: Fatigue wird also nicht ernst genug genommen?

Schoenberg: Ja. Wie sehr die Auswirkungen der Fatigue selbst von Ärzten unterschätzt werden, zeigt eine holländische Untersuchung. In dieser Studie litten 40 Prozent der Patienten unter Fatigue-Symptomen. Unter Chemotherapie waren es sogar 80 Prozent, unter Strahlentherapie 90 Prozent der Patienten. 52 Prozent der Betroffenen empfanden die Fatigue quälender und belastender, als Schmerzen. Für die behandelnden Ärzte war das eine Überraschung: Sie waren der Meinung, dass der Schmerz im Vordergrund stehen würde und höchstens 5 Prozent ihrer Patienten die Fatigue als besonders einschränkend empfinden würden.

webk: Wann tritt eine Fatigue auf und wie lange hält sie an?

Schoenberg: Das kann individuell sehr verschieden sein. Eine akute Fatigue, die während oder kurz nach den Krebstherapien auftritt, bessert sich bei den meisten Patienten innerhalb von etwa drei Monaten nach dem Ende der Behandlung.
Dann gibt es aber noch die chronische Fatigue. Oft Jahre später und obwohl die Krankheit längst überwunden scheint –, leiden immer noch zwischen 33 und 53 Prozent der Patienten an großer Erschöpfung und ähnlichen Symptomen. Die Betroffenen vermuten in der Regel, dass die rasche Ermüdbarkeit mit ihrer Verunsicherung, ihren Ängsten und der gefühlten Perspektivlosigkeit zu erklären ist, ein Zusammenhang mit der ursprünglichen Erkrankung und anstrengenden Therapie wird sowohl von Patienten und Ärzten nicht erkannt.
D.h. der erste Schritt zur erfolgreichen Behandlung von Fatigue ist es, um diese Erkrankung zu wissen und rasch zu (be-)handeln.

webk: Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Schoenberg: Einen generell geltenden Therapieansatz für alle Patienten, die an Fatigue leiden, gibt es nicht. Es kann ihn auch nicht geben, denn die Behandlung richtet sich ganz nach den persönlichen Problemen und der speziellen Situation des Patienten.
Vielversprechend sind bei vielen Patienten psychotherapeutische Verfahren, vor allem verhaltenstherapeutische Maßnahmen in Einzel- oder Gruppengesprächen. Sie sollen dem Patienten helfen, sich selbst zu helfen. Das heißt, die Therapeuten versuchen, die Betroffenen mit Methoden vertraut zu machen, die es ihnen ermöglichen, die psychischen Beschwerden zu überwinden oder abzumildern. Durch die Behandlung ist es möglich, die typischen Symptome wie Mattigkeit, depressive Gedanken, Schlafprobleme, Motivations- und Konzentrationsschwierigkeiten nicht nur akut zu lindern, sondern im weiteren Krankheitsverlauf ein Wiederauftreten zu verhindern.
Verschiedene Untersuchungen beschreiben auch positive Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf physische und psychische Fatigue-Beschwerden. Studien zeigen, dass moderate körperliche Betätigung die Symptome um über 60 Prozent im Vergleich zu inaktiven Patienten reduzierte. Der Effekt war umso stärker, je früher mit dem Training begonnen wird. Eine Erkenntnis, die abermals belegt, wie wichtig ein entsprechendes Bewusstsein für dieses Krankheitsbild und eine frühzeitige Diagnostik bei Fatigue ist.

webk: Kann man immer Sport treiben bzw. körperlich aktiv sein?

Schoenberg: Wer Fatigue an sich erlebt hat, weiß, dass es Tage gibt, in denen Sport oder jegliche Form von Training völlig unmöglich erscheinen . Es hat meines Erachtens auch an diesen Tagen keinen Sinn sich zu etwas zu zwingen. Ich sage meinen Patienten: „Bitte versuchen Sie nicht den sogenannten „inneren Schweinehund“zu besiegen, sondern freunden Sie sich mit ihm an. Wenn Sie zu schwach sind, hören Sie auf Ihren Körper. Wenn Sie sich wieder etwas besser fühlen, versuchen Sie sich langsam und moderat zu bewegen, z.B. Spaziergänge, selbst wenn sie nur kurz sind“.

webk: Gibt es neben körperlicher Aktivität und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen noch weitere Möglichkeiten, Fatigue entgegenzuwirken?

Schoenberg: Aus meiner eigenen Erfahrung sollten Sie Entspannungstechniken nicht nur bei Übelkeit und Erbrechen, sondern auch bei Fatigue ausprobieren. Geeignete Entspannungsübungen wären beispielsweise Yoga, Tai-Chi, autogenes Training oder progressive Muskelentspannung. Solche Übungen helfen, „herunterzukommen“, das Gedankenkarussell im Kopf eine Zeit lang auszuschalten und Ruhe zu finden, wobei jeder Patient selbst entscheiden muss und kann, welche Techniken für ihn/sie am geeignetsten sind.

Zusammenfassend lässt sich zur Behandlung des sehr komplexen Krankheitsbildes Fatigue feststellen:

  • Fatigue ist für viele Tumorpatienten ein relevantes Problem, insbesondere, wenn sie eine anstrengende Chemo- und/oder Strahlentherapie erhalten.
  • Wenn man sich der Erkrankung bewusst ist und seine Beschwerden mit den behandelnden Ärzten bespricht, ist ein erster Schritt in Richtung Besserung schon getan.
  • Die Therapie muss sehr individuell gestaltet, der Erfolg der Behandlung in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden.
  • Psychotherapeutische Unterstützung, körperliche Aktivität, aber auch Entspannungsübungen wie Yoga, Meditation etc. sind sehr gute Strategien, um die Beschwerden zu verringern.
  • Bei der Bewältigung der schwierigen Lebensphase ist ein mitfühlender Partner, der in die Behandlung mit einbezogen wird, von großem Wert.

Weitere Informationen zum Thema:

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Wie kann ein Logopäde bei einer Krebserkrankung helfen?

Interview mit Nerina Aupperle, Logopädin im Klinikum Stuttgart, Katharinenhospital seit 2015.

Frau Aupperle macht diesen Beruf, weil ihr die Arbeit mit Menschen am Herzen liegt und sie Sprache und Essen für elementar hält.

was-essen-bei-krebs.de (webk): Danke, dass Sie sich heute die Zeit für ein Interview mit uns genommen haben. Erklären Sie uns bitte vorweg was ein Logopäde macht?

Nerina Aupperle (NA): Logopäden sind die zuständigen Therapeuten bei Sprach-, Sprech-, Stimm-, Schluck- oder Hörbeeinträchtigungen. Sie arbeiten nach einer Heilmittelverordnung durch einen Arzt und gehören somit den medizinischen Fachberufen an.

Das Tätigkeitsfeld und die behandelte Altersgruppe sind groß
und reichen von der Schlucktherapie bei Säuglingen, über die Sprach- und
Sprechtherapie bei Kindern, die Stimmtherapie z.B. bei Stimmberufen wie
Lehrern, bis hin zur Therapie nach Schlaganfällen oder während/nach
Krebserkrankungen.

Doch nicht nur Therapie, auch Diagnostik, Beratung, Prävention, Forschung und Rehabilitation umfassen das Tätigkeitsfeld.

webk: Bei welchen Beschwerden während einer Krebserkrankung kann ein Logopäde helfen?

NA: Bei Schluck-, Sprech- und/oder Stimmproblemen durch Tumore im Hals-, Nasen-Ohrenbereich oder im Bereich des Kiefers, des Gesichts oder des Gehirns kann Logopädie helfen. Doch auch wenn es nach operativen Eingriffen oder während der Bestrahlung zu Sprech- oder Schluckbeschwerden kommt, kann der Logopäde unterstützen.

In der beratenden und
therapeutischen Tätigkeit kann ein Logopäde passende Kostformen finden,
die die tägliche Nahrungsaufnahme erleichtern oder bei Bedarf weiterführende
Therapien in Form von künstlicher Ernährung empfehlen.

Doch auch Schluckmanöver oder
individuell passende Muskelübungen übt er mit dem Patienten:

  • Übungen für die mimische Muskulatur bei Gesichtslähmungen,
  • Übungen für die Lippen nach Operationen oder bei Karzinomen in diesem Bereich,
  • Übungen für die Zunge bei/nach Karzinomen im Mundbereich oder auch bei Muskelabbau oder fehlender Kraft für erfolgreiches Schlucken. Die Zunge ist dabei für das Sprechen und das Schlucken von zentraler Bedeutung.
  • Übungen für das Gaumensegel bei/nach Karzinomen in diesem Bereich und der Folge, dass Nahrung durch die Nase läuft oder bestimmte Laute nicht gesprochen werden können,
  • Übungen für den Rachen bei Karzinomen in diesem Bereich, nach Operationen oder bei einer Schwäche der Muskulatur des Rachens,
  • Übungen für die Stimmlippen im Kehlkopf.  Beispiele wären Stimmprobleme aufgrund von Lähmungen im Bereich der Stimmlippen mit und ohne Verschlucken oder auch bei gut- oder bösartigen Veränderungen im Bereich des Kehlkopfs.
  • Nach Kehlkopfentfernung üben wir zudem mit dem Patienten über Ersatzstimmen wieder sprechen zu können.
  • Patienten mit Hirntumoren brauchen in dem Bereich Therapie, der durch den Hirntumor betroffen ist. Das kann vom Schlucken, über das Sprechen und die Stimme bis hin zur Sprache mit dem Auffinden passender Wörter reichen.
  • Brauchen Patienten infolge einer Tumorerkrankung ein Tracheostoma und eine Trachealkanüle, so hilft der Logopäde dabei, den Umgang mit der Kanüle zu beherrschen und übt, je nach Grunderkrankung mit dem Patienten, dass Schlucken und Sprechen wieder sicher gelingen.
  • Bei Nervenschädigungen infolge von Tumoren richtet sich der Schwerpunkt der logopädischen Therapie nach den Schwierigkeiten, die der Patient beim Sprechen, der Sprache oder dem Schlucken hat.

webk: Wie findet man einen Logopäden?

NA: Ich würde den Arzt meines Vertrauens oder Bekannte nach Empfehlungen fragen. Alternativ kann man in Suchmaschinen schauen, ob es in der Nähe eine logopädische Praxis oder eine Einrichtung mit einem ambulanten Therapieangebot gibt.

Im Krankenhaus wird die stationäre Therapie durch den zuständigen Arzt (Stationsarzt, Oberarzt, etc.) verordnet.

webk: Wie läuft eine Sitzung beim Logopäden ab?

NA: Zunächst wird in der Anamnese erfragt, welche Beschwerden, aber auch Ziele und Wünsche der Patient hat. Nach einer Diagnostik mit dem auf den Patienten zugeschnittenen Diagnostikmaterial beginnt die auf den Patienten ausgerichtete Therapie.

webk: Was genau macht der Logopäde mit dem Patient?

NA: Da das Tätigkeitsfeld so groß ist, kann man die Therapie nicht allgemein beschreiben. Vielleicht könnte man sagen: Der Logopäde unterstützt den Patienten dabei, sich selbst zu helfen.

Bei der Tätigkeit im stationären Umfeld mit Krebspatienten: Er
zeigt ihm, welche Muskeln, wie trainiert werden sollten, er zeigt ihm
Hilfsmittel auf, die den Alltag erleichtern. Er führt mit dem Patienten Übungen
für Sprachbereiche durch, die betroffen sind. Er berät Patienten und
Angehörige.

Der Logopäde verschreibt keine Medikamente, sondern zeigt dem Patienten, wie er seine Fähigkeiten erweitern oder zurückgewinnen kann. Auch zeigt er ihm, wie er fehlende oder eingeschränkte Funktionen kompensieren kann. Den Weg muss der Patient selbst gehen.

webk: Was wären Ihre/ Eure ersten Tipps an Patienten mit  Schluckbeschwerden?

NA: Ich würde zum Hals-, Nasen-Ohrenarzt gehen und diesen eine Diagnostik durchführen lassen. Wenn der Patient nach dem Schlucken gehäuft husten oder sich räuspern muss, so kann dies an einer Aspiration liegen. Das bedeutet, dass die Nahrung beim Schlucken nicht in die Speiseröhre, sondern in die Luftröhre wandert. Dies kann zu einer Lungenentzündung führen. Auf jeden Fall sollte die Nahrung dann ordentlich abgehustet werden. Der Husten ist sozusagen der Reinigungsmechanismus der Lunge. Passiert dies häufiger, ist das ein Warnzeichen und der Arzt sollte dringend konsultiert werden, der dann ggf. auch Logopädie verschreibt.

Je nach Grunderkrankung können verschiedenen Konsistenzen
leichter geschluckt werden. Muss die Nahrung an einem Tumor oder Narbengewebe
vorbeitransportiert werden, so kann flüssige, hochkalorische Nahrung eine
Erleichterung sein. Ist die Muskulatur im Bereich der Zunge, des Rachens oder
Kehlkopfes geschwächt, so ist passierte Kost oft am leichtesten zu schlucken, da
die Fließgeschwindigkeit nicht so hoch ist.

Auch Haltungsänderungen können helfen, beispielsweise den
Kopf zur Brust oder zur Seite zu neigen.

Dies kann allerdings nur ein kleiner Ausblick sein, der Logopäde findet die individuell passenden Hilfsmittel und ist daher durch ein Interview nicht ersetzbar.

webk: Was war Ihr bisher emotionalstes Erlebnis in Ihrem Beruf:

NA: Besonders emotional ist es, wenn Patienten nach einer Kehlkopfentfernung zum ersten Mal ihre Ersatzstimme anwenden und hören können. Nach einer Zeit des Schweigens endlich wieder sprechen zu können rührt Patienten und selbstverständlich auch uns mitunter zu Tränen.  Das ist auch der Fall, wenn Patienten nach einem Kanülenwechsel erstmals wieder ihre Stimme verwenden können und nicht mehr an die Schriftsprache gebunden sind, die eine geblockte Kanüle mit sich bringt.

Wir danken Nerina Aupperle, dem logopädischen Team und dem Klinikum Stuttgart für die Unerstützung, die Sie mit diesem Interview leisten.

Im Bereich Beschwerden lindern haben wir Hintergrundwissen, Tipps und praktische Empfehlungen zu Kau-und Schluckbeschwerden für Sie zusammengestellt: hier geht es zum Kapitel Kau-und Schluckbeschwerden